Fallbeispiel: Musiktherapie aus einer psychiatrischen Klinik
Seit ich im Alter von sieben Jahren das Gitarrenspiel erlernte gehört Musik zu meinem Leben. Seit gut 30 Jahren entwickle und baue ich Klangmöbel und Instrumente und leite unterschiedlichste Musik-Workshops. Dieser Erfahrung entspringen mein Lebensmotto und meine Überzeugung darüber, dass mit Musik alles bessergeht. So habe ich mich sehr über den Erfahrungsbericht von Daniela Macaluso, die im St. Johannes Hospital in Hagen als Musik- und Klangtherapeutin arbeitet gefreut, in dem sie mir mitteilte, wie positiv sich die Musik auf das Verhalten einer ihrer Patientinnen ausgewirkt habe. Dieses Fallbeispiel möchte ich heute gerne teilen. Natürlich bleibt die Patientin anonym.
Nachstehend schildert Daniela Macaluso, was sieben Tage der Musiktherapie bei der Patientin, nennen wir sie Bärbel Z., erreicht haben.
„Bärbel Z, zirka 30 Jahre alt, befand sich wegen einer bipolaren, affektiven Störung mit einer manischen Episode mit psychotischen Merkmalen, für zirka neun Wochen in psychiatrisch stationärer Behandlung. Nach zwei Wochen ihres Aufenthalts auf unserer geschützten Station wurde ich beauftragt, mit Bärbel Z. musiktherapeutisch zu Arbeiten und mit dem Einzelsetting zu beginnen.“
Therapiestunde 1
Bärbel Z. zeigte sich in der ersten Therapiestunde sehr redegesteigert, sprunghaft in ihren Erzählungen, psychomotorisch unruhig und ängstlich. Das verhieß keine leichte Therapiestunde denn hinzu kam noch, dass Bärbel Z. mit ihren Händen keine Instrumente anfassen wollte. Sie habe Probleme mit Gegenständen in Kontakt zu kommen, die andere Personen zuvor schon angefasst hätten, sagte sie mir. Auch habe sie Probleme mit Körperkontakt, aufgrund eines Traumas durch Gewalterfahrung.
Ich schlug Bärbel Z. vor auf Instrumenten zu spielen, bei denen sie keinen direkten Händekontakt habe. So ließ sie sich auf das Spiel mit der Schlitztrommel ein und bespielte diese mit Schlegeln.
Bärbel Z. konnte sich so motivieren und ablenken lassen, und schaffte es sogar, eine kleine gemeinsame musikalische Interaktion mit mir zu gestalten. Dieses, obwohl sie dabei ununterbrochen weiterredete. Nach zirka 30 Minuten brachte ich Frau Z. zurück auf die geschlossene Station.
Die psychomotorische Unruhe war leicht gemindert und Bärbel Z. konnte erstes Vertrauen zu mir aufbauen.
Therapiestunde 2
In der zweiten Therapiestunde zeigte sich Bärbel Z. noch sehr redegesteigert und schimpfte mit obszönem Wortlaut über ihre Mutter. Durch das dann folgende musikalische Ausprobieren von Instrumenten konnte sie sich jedoch ablenken lassen. Sie war sogar in der Lage, sich haptisch-taktil auf die verschiedenen Instrumente einzulassen. Plötzlich zeigte sie besonderes Interesse an der Gitarre und wünschte sich von mir, ihr beim nächsten Treffen das Gitarre spielen beizubringen.
Bärbel Z. wurde während dieser zweiten Therapiestunde durch das Ausprobieren und Bespielen der Instrumente deutlich ruhiger. Ihre verbalen obszönen Ausdrücke ließen nach.
Therapiestunde 3
In diese Stunde kam Bärbel Z. deutlich besser gestimmt und wurde psychomotorisch schnell ruhiger. Sie wünschte sich, auf der Gitarre einen Akkord spielen zu lernen und versuchte es. Sie zeigte Vertrauen und äußerte den Wunsch, mit mir gemeinsam zu singen. Wir haben zusammen gesungen und ich begleitete uns dabei auf der Gitarre. Am Ende dieser Therapiestunden sagte mir Bärbel Z, dass sie sich schon jetzt auf das nächste Wiedersehen freue.
Bärbel Z. war deutlich ruhiger, zeigte Vertrauen und äußerte den Wunsch nach weiteren Musikstunden.
Therapiestunde 4
In der vierten Therapiestunde erwies sich Bärbel Z. kognitiv geordneter und erlernte auf Wunsch den e-Moll Akkord auf der Gitarre. Eine positive Erinnerung trat plötzlich bei ihr ein. Sie sagte, dass sie als Kind mit ihrem Vater am Lagerfeuer gesessen habe und ihr Vater dabei Gitarre spielte. Dann erklärte Bärbel Z. noch, dass sie wohl daher ihre musikalischen Gene habe. Dabei strahlte sie über das ganze Gesicht und freute sich über diese schöne Erinnerung. Des Weiteren entdeckte sie während dieser Stunde das Keyboard, probierte es sofort aus und versuchte „Freude schöner Götterfunken“ nachzuspielen.
Bärbel Z. verlor zunehmend die zuvor noch vorhandenen Berührungsängste den Instrumenten gegenüber. Sie erlebte Freude am Tun und positive Erinnerung.
Therapiestunde 5
Bärbel Z. war in der fünften Therapiestunde nicht mehr überdreht, blieb psychomotorisch ruhig und kommunikativ angepasst. Ihr Reden war nicht mehr übersteigert und ihre Konzentrationsfähigkeit deutlich verbessert. Sie übte auf dem Keyboard, sang dazu und wirkte dabei sehr positiv und entspannt.
Therapiestunde 6
Bärbel Z. kam bereits gut gelaunt zur sechsten Therapiestunde und sagte, dass sie sich sehr auf das heutige Treffen freue. Motiviert übte sie auf Gitarre und Keyboard und sang dabei. Sie wirkte völlig gelöst, nicht mehr gereizt und benutzte keine obszönen, aggressiven und verbalen Ausdrücke mehr.
Therapiestunde 7
Die siebte Therapiestunde stellte den Übergang von der Einzeltherapie zum Gruppensetting dar. In der 7. Therapiestunde ihres stationären Aufenthaltes konnte Bärbel Z. an einem Gruppensetting teilzunehmen. Sie konnte sich strukturiert und für ihre Verhältnisse angepasst einbringen. Sie hatte keine haptisch-taktilen Ängste mehr, obwohl die anderen Patientinnen und Patienten dieselben Instrumente zuvor in Hand hielten und sie berührt hatten.
Fazit
In ihrer Wahrnehmung gelang es Bärbel Z., Ablenkung von haptisch-taktilen Missempfindungen durch Fokussierung auf die Musik zu erreichen. Beobachten konnte man die Verminderung von Anspannung durch Abnahme psychomotorischer Unruhe und Muskeltonus. Es zeigte sich im weiteren Verlauf die Dämpfung des Aggressionspotentials und es gab keine obszönen verbalen Ausdrücke oder Gesten mehr. Durch ihre verbesserte Eigenwahrnehmung kam es zu einer affektiven Stabilisierung. Sie erkannte ihre Ressourcen und steigerte Aufmerksamkeit und Konzentration. Dadurch entwickelte sie wieder Zuversicht, Hoffnung und Lebenssinn. Schließlich durchbrach sie die soziale Isolation ausgelöst durch die beeinträchtigende Störung. Soziale Interaktion in der Gruppe war Bärbel Z. wieder möglich.“
„Zu beobachten, wie sich Bärbel Z. in den sieben musiktherapeutischen Sitzungen zum Positiven entwickelt hat, war für mich als Therapeutin eine große Freude.”
Autoren: Caspar Harbeke und Daniela Macaluso, Musik- und Klangtherapeutin