Polyvagaltheorie und Musikresonanz
Was spielt die Polyvagaltheorie bei der Musikresonanz und Vibroakustik für eine Rolle?
Wir bekommen immer wieder sehr positive Rückmeldungen und Erfahrungsberichte von Menschen, die unsere Musikinstrumente und Klangmöbel nutzen. Die Musikresonanzliege „Klangwoge“ wird zum Beispiel auch in Schmerzkliniken, in der Reha oder Psychosomatischen Kliniken eingesetzt. Chronisch schmerzkranke Patienten berichten: „20 Minuten Musikresonanz auf der Liege = 1 Tag Schmerzfrei“. Einem Patienten, der nach einer OP in der Rehaklinik die Klangwoge kennengelernt hat, hat so positiv darauf reagiert, dass der Chefarzt in seinem Abschlussbericht empfohlen hat, diese weiter zu nutzen „Herr X profitierte sehr von der Behandlung mit der Klangwoge, so dass er anfragte, ob die Kosten bei einem Kauf von der BG übernommen werden können. Dies empfehlen wir zu prüfen, da eine weitere Reduktion der hochpotenten Analgetika zu begrüßen wäre.“
Auch im BGM, dem betrieblichen Gesundheitsmanagement gibt es Feedback. Im Sommer haben wir eine Wartung der Timeout-Zone bei Bosch Engineering durchgeführt, die wir im Jahre 2012 mit fünf Klangwogen eingerichtet hatten – siehe Video. Während der Wartung kam ein Bosch-Mitarbeiter und fragte, ob er sich für 10 Minuten auf eine Klangwoge legen könne. Dies helfe sehr gut gegen seine Rückenschmerzen und dann bräuchte er nicht zum Arzt.
Die musiktherapeutischen Interventionen bei den Klangwiegen haben wir auch in einigen Videos in diesem Jahr dokumentiert. Viele weitere Rückmeldungen bestärken uns darin, dass die Klänge sehr viel Positives bewirken.
Warum funktioniert Schmerzlinderung und Regeneration so gut bei Musikresonanz, haben wir uns seit Jahren immer wieder gefragt und sind auf eine Spur gestoßen: Der Polyvagaltheorie! Diese möchte ich hier kurz und kompakt vorstellen.
Polyvagaltheorie und Musikresonanz
In der Polyvagaltheorie*) werden Erkrankungen nicht als solche betrachtet. Vielmehr sind diese ein Resultat des autonomen Nervensystems (ANS), das sich nicht mehr selbst regulieren kann. Hervorgerufen wurde diese Fehlregulierung meist durch ein Trauma, oder eine langanhaltende Belastung mit Stress.
Der Betroffene empfindet sich dann in einer objektiv sicheren Umgebung, subjektiv jedoch in einer Gefahrensituation wieder. Das ANS ist dauerhaft (chronisch) im Alarmmodus. Die Folge ist ein nicht mehr zur Ruhe kommen, da das Nervensystem nicht mehr in Balance kommen kann und Heilung und Erholung nicht mehr stattfinden können. Dadurch können eingeschränkte Sozialisationsfähigkeiten, Schmerzaktivierung, Insulinresistenzen und Ängste entstehen.
Warnsignale einer Fehlregulation können sein: Schlechte Verdauung, kalte Hände, schlechter Schlaf oder Mangel an emotionalem Empfinden.
Folgen:
– Angststörungen
– Existenzangst
– Asthma
– Vorhofflimmern
– Autismus
– Fibromyalgie
– Kloßgefühl im Hals
– Migräne
– Tinnitus
– Überempfindlichkeit
– Verdauungsstörungen
– Sorgen vor der Zukunft
– Schluckbeschwerden
– Schwindelgefühl
– Schlafapnoe
– Angespannter Kiefer
– Soziale Isolation (Kleiner Freundeskreis)
Was kann man selber tun um die Selbstregulation zu verbessern?
Vorbeugend gibt es viele Möglichkeiten die Regulation des autonomen Nervensystems zu verbessern. Oftmals sind die eigene Ressourcen gar nicht so bekannt oder werden nicht genutzt. Hier gibt es großes Potential, diese zu erkennen und zu nutzen. Natürlich können auch neue Tätigkeiten ausprobieren und verwenden werden.
Hier eine Auflistung der Möglichkeiten:
– Bewegung und Training in den Fähigkeiten, die jeder hat
– Achtsamkeitstraining und Entspannungstechniken
– Ausreichend schlafen
– Bewusst Pausen einlegen
– Naturverbundenheit, In die Sonne gehen (ohne Sonnenschutzmittel) und Vitamin D bilden, frische Luft bewusst einatmen
– Blick in die Weite
– Gutes soziales Gefüge
– Streicheleinheiten und Körperkontakt
– Gute Interozeptionsfähigkeit **) entwickeln. Durch die Selbstwahrnehmung wird vermutlich auch das emotionale Empfinden verbessert.
Was kann man tun, wenn diese Möglichkeiten nicht mehr ausreichen?
Ist die Störung zu ausgeprägt und über einen längeren Zeitraum chronisch können die oben beschriebenen Übungen keine Regulation mehr bieten (z.B. beim Burnout, chronischen Schmerzen). Hier sollte man sich Hilfe bei Experten suchen und an der Stimulation des Vagusnervs arbeiten.
Durch eine Stimulation des Vagus-Nervs können die Regenerationsfähigkeiten aktiviert werden. Mit folgenden Methoden kann der Vagus-Nerv stimuliert werden:
– Kalte Thermogenese, z.B. durch kaltes Duschen
– Training der Herzschlagvariabilität, z.B. durch das kohärente Atmen ****)
– Kieferregulierung
– Elektrische Stimulation *****)
– Gurgeln oder einen Würgereflex auslösen
– Musikresonanz: Vibroakustik, Summen, Singen
Musikresonanz
Besonders die Klangwiege bietet dadurch, dass der Anwender im Resonanzraum des Instrumentes liegt ein großes Potential den Vagusnerv zu stimulieren. Die tiefen Entspannungszustände und das Wohlbefinden, welche Menschen erleben, wenn sie mit der Klangwiege intensiv fühlbar in Resonanz gehen, unterstützen den Erfolg jedweder therapeutischen Anwendung ganz wesentlich.
Hier wird deutlich, welchen Wert eine Klangmassage, eine Klangreise oder eine Pause auf der Musikresonanzliege haben. Dies erklärt auch die positiven Effekte (Tiefenentspannung, Stressreduktion), die bei Klanganwendern bekannt sind.
Autor: Caspar Harbeke
………………………………………
Glossar:
*) Polyvagaltheorie (PVT): Die Polyvagaltheorie (PVT) wurde in den 80-er Jahren von Prof. Stephen W. Porges aus den USA entwickelt. Sie ist eine Erklärung für das Warum der Verhaltensweisen, die vom autonomen Nervensystem (ANS) unbewusst ablaufen.
**) Interozeptionsfähigkeit: (von lateinisch inter „inmitten von“ und recipere „aufnehmen“), also auf Selbstwahrnehmung achten. Dabei unterscheidet man die Propriozeption (Wahrnehmung von Körperlage und -bewegung im Raum) und die Viszerozeption (Wahrnehmung von Organtätigkeiten).
***) Vagus-Nerv: Der Vagus-Nerv ist der Hauptnerv des parasympathischen Nervensystems (der Teil des ANS, der die Regeneration und die Selbstheilungskräfte reguliert), und damit der wichtigste Akteur für Ruhe, Erholung und Regeneration. Er beginnt im Hirnstamm, hinter den Ohren. Von dort wandert er auf jeder Seite des Nackens nach unten bis zum Bauch. Das Wort „Vagus“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie Wandern, weil sich diese Nervenbündel im ganzen Oberkörper verzweigen. Sie verbinden das Gehirn mit dem Magen und dem Verdauungstrakt, versorgen die Lungen, Herz, Galle, Leber und Nieren. Dazu kommt noch die Enervierung von Sprache, Mimik und Augenbewegungen, die bekanntlich vom neuen, smarten Teil des Vagus gesteuert wird, der vom ventralen Teil des Hirnstammes ausgeht.
****) Kohärentes Atmen: Auf das Ausatmen konzentrieren (Atemübung von Wim Hof), bewusst tief Ein- und Ausatmen. Nach dem Einatmen die Luft anhalten. Nach dem Ausatmen mit einer Hand unter dem Solarplexus oder sich selbst umarmen, um das Geborgenheitsgefühl zu verstärken.
*****) Elektrische Stimulation: VNS = Vagus-Nerv-Stimulation: Elektrode unter die Haut oder t-VNS: Transkutane Vagus-Nerv-Stimulation mit Klemm-Elektroden (Tense)
………………..
Literatur:
Porges, St. W. (2017): Die Polyvagaltheorie und die Suche nach Sicherheit. Lichtenau: Probst.
Hinterberger, T. und Koller, C. (2022): Klanginduzierte und klangbegleitete Bewusstseinsprozesse. Bewusstseinswissenschaften 1/2022, 34-45
Leubner, D., Hinterberger, T. (2017): Reviewing the effectiveness of music interventions in treating depression. Frontiers In Psychology 8:1109, 1-21. doi: 10.3389/fpsyg.2017.01109
Kharrazian, D. (2013): Why Isn’t My Brain Working? Elephant Press
Ehrmann, W. (2016): Kohärentes Atmen. Tao Verlag
Harbeke, C. (2021): 25 Jahre Klangwiege, Entspannungsverfahren 38/2021, S. 64-71
Jochims, I. (2022): Meistere den Stress, Book on Demand